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Das Magazin von Physiobern

Lesedauer ca. 9 Min.

Transgender

Kommunikation

Transgender

Ping – Das Mailprogramm meldet sich: Eine neue Nachricht. Noch schnell die letzte Mail lesen und dann mache ich mich auf den Heimweg, denke ich.

„Guten Tag Alexandra Hummel, ich heisse Sam Meier und bin eine trans Person. Ich würde gerne wegen meiner Knieverletzung zu Ihnen in die Physio kommen, möchte aber im Vorfeld abklären, ob Sie für eine Behandlung offen wären und Ihre Praxis ein sicherer Ort für mich ist. Leider habe ich in der Vergangenheit unschöne Erfahrungen in der Physio gemacht. Liebe Grüsse, Sam Meier“

Ich schalte den Computer aus, ziehe meine Velokleider an und denke über die Mail nach. Im ersten Moment höre ich mich antworten: „Klar Sam, komm zu mir. Ich biete dir einen sicheren Ort.“ Aber dann fällt mir auf, dass ich gar nicht so genau weiss, was Sam mit einem „sicheren Ort“ meint. Finde ich die richtigen Worte, wenn ich mit Sam kommuniziere, oder rutscht mir doch ein geschlechtsspezifisches Pronomen heraus?

Dieses Beispiel ist fiktiv. Doch es ist nahe an der Realität und von aktuellen Bedürfnissen abgeleitet. Es ist höchste Zeit, dass wir uns als Physiotherapeut:innen auch im Bereich Gender weiter professionalisieren und den Bedürfnissen unserer Klient:innen anpassen.

Um sich dem Thema zu nähern, ist es zuerst wichtig, einige Begriffe und Definitionen zu kennen. Dafür hilft der Geschlechterradar. Dabei wird Geschlecht in fünf Dimensionen aufgeteilt: körperliche Merkmale, Identität, Ausdruck, Anziehung und Rolle [1]. Die fünf Kategorien von Geschlecht sind unabhängig voneinander. 

Körperliche Merkmale

Körperliche Merkmale zu Geschlecht sind äussere und innere Geschlechtsorgane, Keimdrüsen, Hormone, Chromosomen und sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Haarwuchs oder Stimmlage. 

Menschen gelten als endogeschlechtlich, wenn die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale sowie hormonelle Werte (werden u.a. im Sport gemessen) den von der Medizin und Gesellschaft definierten Vorstellungen von männlich oder weiblich entsprechen. Ist das nicht der Fall, dann ist eine Person intergeschlechtlich. Variationen der Geschlechtsmerkmale sind entweder bei der Geburt sichtbar oder können auch erst später auftreten, beispielsweise während der Pubertät oder während der Abklärung bei einem Kinderwunsch. 

Geschlechtsidentität

Sam spricht in der Mail die Dimension der Geschlechtsidentität an. Cis Personen sind Menschen, welche sich mit dem ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren.

Von einer trans Person (weitere Begriffe sind Transgender oder Transidentität) spricht man, wenn das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmt. Somit ist die Geschlechtsidentität auch unabhängig davon, ob eine Person primäre oder sekundäre Geschlechtsmerkmale operativ oder durch die Einnahme von Hormonen an die Geschlechtsidentität anpassen will oder nicht. 

Einem trans Mann wurde bei der Geburt aufgrund der Genitalien das weibliche Geschlecht zugeordnet, einer trans Frau das Geschlecht eines Jungen. Eine nicht-binäre Person hat eine Geschlechtsidentität, die nicht (ausschliesslich) männlich oder weiblich ist. Nicht-binäre Pronomen sind z.B. «sie*er», «they» oder «xier», es ist auch möglich keine Pronomen zu verwenden.

Trans ist keine psychische Erkrankung, jedoch haben viele trans Personen eine psychische Erkrankung, was für uns als Physiotherapeut:innen im Zuge unserer Anamnese eine wichtige Hintergrundinformation bildet [2].

Ausdruck

Der Geschlechtsausdruck beschreibt, wie eine Person ihr Aussehen gestaltet. Als Gesellschaft ist definiert, was als typisch männlich und was als typisch weiblich gilt. Also zum Beispiel hinsichtlich Röcke, Krawatte, Schuhe, Haarlänge, Schminke, Nagellack und vielem mehr. Es kann sein, dass sich eine Person mit der Geschlechtsidentität männlich schminkt oder weiblich gelesene Kleider trägt. Der Bereich Ausdruck hat mit den persönlichen Vorlieben bezogen auf die Mode und das Erscheinungsbild zu tun. Automatische Schlüsse auf die Einordnung dieser Person in den anderen Dimensionen können nicht gezogen werden.

Anziehung

Anziehung handelt von der sexuellen und/oder romantischen Orientierung. Es geht darum, zu welchen Personen sich ein Mensch sexuell oder romantisch hingezogen fühlt und zu wem nicht:

Heterosexuelle Menschen fühlen sich ausschliesslich zum anderen Geschlecht (Frauen oder Männer) hingezogen. 

Homosexuelle Personen fühlen sich zum gleichen Geschlecht, bisexuelle Personen fühlen sich zu beiden Geschlechtern und pansexuelle Menschen fühlen sich zu allen Geschlechtern hingezogen.

Asexuelle Personen fühlen sich zu niemandem sexuell hingezogen. 

Aromantische Personen haben wenig oder kein Interesse an romantischen Beziehungen[3].

Rolle

Die Geschlechtsidentität ist unabhängig von den Geschlechtsrollen. Also ob eine Person kurze oder lange Haare hat, ob sie Kleidung trägt, die als männlich oder weiblich gilt in unserer Gesellschaft, ob sie sich schminkt, wie sie lacht oder wie sie geht. All das sind Verhaltensweisen, zu denen wir als Gesellschaft klare Vorstellungen haben, wie sich ein Mann bzw. eine Frau zu verhalten hat.  

Mit Geschlechterrolle ist unser Verhalten aufgrund von Erwartungen gemeint. Denn rund um Geschlecht gibt es, basierend auf Geschlechterstereotypen, Erwartungen. Ein Beispiel hierfür: Fussball spielen Männer und Buben, Mädchen kochen und stricken gerne. Ein Mädchen (unabhängig davon ob cis oder trans) kann gerne auf Bäume klettern und sich raufen. Doch wird dieses Kind von der Gesellschaft erfahren, dass dieses Verhalten untypisch ist für Mädchen und eher von Buben erwartet wird. Umgekehrt kann sich ein männliches Kind für Prinzessinnen und Stricken interessieren und sich als Junge identifizieren.

Im bekannten Akronym LGBTIQ+ geht es bei LGB (lesbisch, gay=schwul, bi) um die Anziehung, bei T (trans) um die Geschlechtsidentität und bei I (intergeschlechtlich) um körperliche Merkmale. 

Q steht für Queer und ist ein Überbegriff für alle Menschen, die von den traditionellen Vorstellungen rund um Sexualität abweichen.

Das Pluszeichen zeigt, dass es noch mehr Identitäten gibt, die alle Menschen einschliesst, die in vorangegangenen Gruppen nicht abgebildet sind [4].

Es gibt Variationen zu diesem Akronym, aber LGBTIQ+ wird als Hauptabkürzung von den meisten NGOs in diesem Bereich verwendet [5].

Sam hat sich in der Mail als non-binäre Person vorgestellt. Das bedeutet nun erstmal, dass sich Sam nicht mit dem bei Sams Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert. Sam lässt offen, ob sich Sam als trans Frau, als trans Mann oder als nicht-binär einordnet. Es kann also sein, dass Sam dies im Anschreiben offenlässt oder sich nicht als trans Mann oder Frau liest, sondern als non-binäre Person. Auf alle weiteren Dimensionen von Geschlecht nimmt Sam keinen Bezug, macht also keine Aussage. 

Was heisst es nun für mich als Physiotherapeutin und für meine Praxis? Wichtig ist, dass Sam die Möglichkeit hat bei einem Anmeldebogen neben „männlich“ oder „weiblich“ auch den Punkt „non-binär“ anzukreuzen. Und dass klar ist, dass ich als Befragerin damit die Geschlechtsidentität meine und nicht die Einteilung aufgrund des Aussehens der Genitalien. Wenn Sam sich vor der Therapie umziehen möchte, muss es einen Bereich geben, wo sich Sam umziehen kann, ohne dass Sam in die Frauen- oder Männerumkleide gehen muss. Dasselbe gilt für die WC-Situation. Gibt es in der Praxis nur Männer- und Frauen-WC oder haben wir auch eine inklusivere Toilette, die Sam benutzen kann. Nach den Räumlichkeiten geht es um meine eigene Haltung als Physiotherapeut:in. Dabei gilt für jede:n von uns: Achte darauf, dass du Sam zu Beginn fragst, mit welchem Pronomen Sam angesprochen werden möchte. Dies könnte sein: er, sie, keine oder they. Wenn du dich mit dem Einsatz von für dich neuen Pronomen unsicher fühlst, dann kommuniziere es. Es geht um einen affirmativen, also bestätigenden Umgang mit trans Personen. Und wenn du magst und damit du rascher neue Pronomen übernehmen kannst – übe es mit Freund:innen, einmal für eine halbe Stunde bewusst ein anderes Pronomen als das bisherige zu verwenden, wenn ihr euch über eine dritte Person austauscht. 

Du kannst deine Unterstützung und deine Sensibilität für die Bedürfnisse der LGBTIQ+ Gemeinschaft zeigen, indem du einen Anstecker auf deiner Arbeitskleidung trägst oder einen Sticker oder ein Plakat in deinem Behandlungszimmer aufhängst. 

Vielleicht ist auch ein Hinweis auf deiner Homepage eine Möglichkeit. Bei Gruppenpraxen ist aber abzuklären, ob sich alle Mitarbeitenden mit ihren Werten und Einstellungen auseinandergesetzt haben und wissen, wie sie ein sicherer Ort für trans Personen sein können. 


 

Möchtest du die LGBTIQ+ Community unterstützen, gehörst aber selber nicht dazu? Dann sei ein Ally und unterstütze indem du:

  1. Respektvoll bist - Akzeptiere, dass Menschen unterschiedlich sind.
  2. Zuhörst - Höre gut zu und sei verständnisvoll, wenn jemand über seine Gefühle spricht.
  3. Für andere einstehst - Setz dich für Menschen ein, die wegen ihrer Identität schlecht behandelt werden.
  4. Fragen stellst - Frag nach, wenn du etwas nicht verstehst. So lernst du immer mehr dazu. [4]

 

Brauchst du Hilfe?

Auf der Seite „Wie geht’s dir?“ findest du eine LGBTIQ-Helpline und weitere Links zu Beratungsstellen. 

Kontaktmöglichkeiten: rund um die Uhr per E-Mail: hello@lgbtiq-helpline.ch; Montag-Freitag, 19–21 Uhr per Telefon: 0800 133 133 und Chat: www.lgbtiq-helpline.ch

 

Ich habe diesen Artikel mit viel Sorgfalt geschrieben, trotzdem kann es mir passieren, dass ich Worte verwendet habe, welche dich verletzen. Das tut mir leid. Wenn du mir eine Rückmeldung geben möchtest, würde ich mich sehr darüber freuen: alexandra.hummel@physiobern.info.

 


 

[1] Geschlechter-Radar – Geschlechtervielfalt verstehen

 

[2] Information | TGNS Transgender Network Switzerland

 

[3] Aromantik – Wikipedia

 

[4] Was bedeutet LGBTQIA+? Einfach erklärt » PridePlanet (letzter Zugriff: 7.12.25)

 

[5] SRF Video LGBTIQ+