CIRS
CIRS – Fehlermanagement in der akutstationären Physiotherapie
Kritische Ereignisse mit unerwünschten Folgen sind im stationären Setting keine Seltenheit.
In der Vergangenheit zeigten verschiedene Studien, dass jeweils 8-10% aller hospitalisierten Patientinnen und Patienten einen unerwünschten Behandlungsschaden erfahren (1,2). Davon könnten etwas über die Hälfte der Ereignisse verhindert werden (2). Um solche Ereignisse zu verringern betreiben viele Spitäler ein Bericht- und Lernsystem, das sogenannte Critical Incident Reporting System (CIRS) (3). Das CIRS ist ein anonymes, freiwilliges und straffreies Meldesystem für Fehler im Gesundheitswesen mit anschliessendem Feedback an die Mitarbeitenden nach abgeschlossener Analyse (3,4). Mit diesen Grundprinzipien soll eine hohe Mitarbeiterbeteiligung und damit eine offene und konstruktive Fehlerkultur erreicht werden (4).
Das systematische Melden von Fehlern aus dem klinischen Alltag trägt zur Verbesserung der Patientensicherheit bei, indem Fehlerquellen identifiziert und Faktoren sichtbar werden, die unerwünschte Ereignisse befördern. Mögliche Faktoren können zum Beispiel systemischer oder institutioneller Natur sein - sei dies bedingt durch die Komplexität von medizinischen Interventionen oder etwa verminderter personeller Ressourcen. Weitere Faktoren beinhalten technologische Faktoren, wie fehlerhaftes Nutzen der vorhandenen Klinikinformationssysteme, aber auch menschliche Faktoren. Des Weiteren begünstigen auch patientenbezogene Faktoren (z.B. Nebendiagnosen wie Demenz) und externe Faktoren (z.B. Vorschriften, Spardruck) das Entstehen von unerwünschten Ereignissen.
Fehler geschehen selten absichtlich, ein sicheres System unterstützt Mitarbeitende mittels spezifisch eingebauten Schutzmechanismen um das Entstehen von Fehlern zu vermeiden (6). Ein Beispiel dafür wäre es, ähnlich klingende Medikamente mittels klar unterscheidbarer Merkmale wie Etikettenfarben, Flaschengrössen, Ort der Lagerung, Tablettenformen etc. zu unterscheiden. In der Praxis sind diese Schutzmechanismen jedoch selten vollständig zuverlässig, sie gleichen eher einem Schweizer Käse (6). Die darin entstandenen Löcher stellen individuelle Fehler dar und weisen auf unerkannte Schwachstellen im System hin: so ist ein unerwünschtes Ereignis oft Folge einer ganzen Fehlerkette (vgl. Bild 1).

Nach einem Praxisentwicklungsprojekt im 2018 hat auch das Institut für Physiotherapie am Inselspital Bern ein eigenes CIRS eingeführt mit dem Ziel, eine offene Fehlerkultur in der Physiotherapie zu schaffen und damit die Patientensicherheit zu verbessern (5). Im CIRS gemeldet werden Fehler, die keinen Schaden auslösen, sogenannte «Beinahe-Schäden» (6). Die gemeldeten Fälle werden durch Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten analysiert und Massnahmen definiert um das Entstehen ähnlicher Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Fallbeispiel Kipptisch
«Auf der Intensivstation wurde «Herr Anonym» durch die Physiotherapeutin und zwei Pflegefachpersonen vom Bett liegend auf den Kipptisch transferiert. Dort wurde bemerkt, dass der Akku des Kipptisches leer ist. Weder die Physiotherapeutin, noch die Pflegefachpersonen wussten über den Reserveakku Bescheid und mussten somit den Patienten wieder zurück ins Bett transferieren.»
Kommentar:
Das Problem wurde dem Team mitgeteilt und die Lösung rasch identifiziert. Bei Einführung von neuen Mitarbeitenden auf der Intensivstation soll konsequent über die Funktionen der eingesetzten Geräte aufgeklärt werden. Zudem muss vor jedem Benutzen eines Gerätes deren Funktion überprüft werden.
Im oben genannten Fallbeispiel ist der Patient, «Herr Anonym», nicht zu Schaden gekommen, da das Problem erkannt wurde, bevor der Kipptisch aufgerichtet wurde. Wäre es allerdings zu spät bemerkt worden, hätten etwa im Falle eines Kreislaufkollapses möglicherweise lebensbedrohliche Konsequenzen erfolgen können. In diesem Fall spielen technologische Faktoren eine Rolle, genauer gesagt das korrekte Benutzen der Technik. Zudem spielten hier auch menschliche Faktoren eine Rolle. Es kann schnell passieren im Rahmen einer vermeintlichen Routinebehandlung Geräte nicht zu überprüfen wie dies in der schweizerischen Medizinprodukteverordnung vorgeschrieben ist (7). Eine mögliche Lösung dieses Problems könnte zum Beispiel sein, beide Akkus mit dem Standort der Ladestation des Reserveakkus anzuschreiben. Zudem sind regelmässige Reminder und offene Gespräche im Team hilfreich um das Team zu sensibilisieren, die Funktionen der Geräte vor Inbetriebnahme zu überprüfen. Das Melden und Analysieren dieses Falles hilft demnach mögliche Schäden beim Benutzen des Kipptisches in Zukunft zu verhindern.
Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten sollte auch in der Physiotherapie die höchste Priorität haben. Dazu gehören neben dem evidenzbasierten Arbeiten auch eine offene Fehlerkultur. Alle können voneinander lernen, besonders jedoch jene Therapeutinnen und Therapeuten mit noch wenig Erfahrung. Zur Patientensicherheit gehören zweifellos Zeit und Ressourcen dazu, aber auch gute Patientenbeziehungen, Selbstfürsorge, klare Kommunikation und offenes, vorwurfsfreies Ansprechen von Fehlern (5).
Literaturverzeichnis
1. Sauro, K. M., Machan, M., Whalen-Browne, L., Owen, V., Wu, G., & Stelfox, H. T. (2021). Evolving Factors in Hospital Safety: A Systematic Review and Meta-Analysis of Hospital Adverse Events. Journal of patient safety, 17(8), e1285–e1295. https://doi.org/10.1097/PTS.0000000000000889
2. De Vries, E. N., Ramrattan, M. A., Smorenburg, S. M., Gouma, D. J., & Boermeester, M. A. (2008). The incidence and nature of in-hospital adverse events: a systematic review. Quality & safety in health care, 17(3), 216–223. https://doi.org/10.1136/qshc.2007.023622
3. Aktionsbündnis Patientensicherheit, Plattform Patientensicherheit, Stiftung Patientensicherheit. (2016). Einrichtung und erfolgreicher Betrieb eines Berichts- und Lernsystems (CIRS). Handlungsempfehlung für stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen. Abgerufen am: 3.12.2025 https://patientensicherheit.ch/wp-content/uploads/2023/05/160913_CIRS-Broschuere_WEB.pdf
4. Mahajan, R. P. (2010). Critical incident reporting and learning. British journal of anaesthesia, 105(1), 69-75.
5. Eggmann, Sabrina. (2020). HOUSTON WE HAVE A PROBLEM – Fehlermanagement in der Physiotherapie. Physiopraxis. 02. 50-53. https://doi.org/10.1055/a-1071-0194
6. Reason, J. (2000). Human error: models and management. Bmj, 320(7237), 768-770.
7. Schweizerische Eidgenossenschaft. (2020, 1. Juli). 812.213 Medizinprodukteverordnung. Abgerufen am 4.12.2025 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2020/552/de?ref=marco.health&print=true