Loading ...

Das Magazin von Physiobern

Lesedauer ca. 5 Min.

Physiotherapie und Nachhaltigkeit im Schweizer Gesundheitssystem

Delegierte

Physiotherapie und Nachhaltigkeit im Schweizer Gesundheitssystem

Wir stehen der grössten gesundheitlichen Herausforderung des 21. Jahrhunderts gegenüber: dem menschengemachten Klimawandel.

In noch nie dagewesener Geschwindigkeit und Grössenordnung verändern wir Lebensräume, lassen Arten aussterben und verschmutzen unsere Umwelt. All dies führt zu grossen klimatischen Veränderungen, Abbildung 1 zeigt wie sich das Klima in der Schweiz bereits verändert hat. 

Klimatische Veränderungen nach MeteoSchweiz (Bildquelle: https://www.meteoschweiz.admin.ch/klima/klimawandel.html)


Diese Veränderungen wirken sich auf unsere Gesundheit aus: Hitze belastet den Kreislauf und kann bestehende Erkrankungen des kardiovaskulären Systems verschlimmern. Tropennächte verschlechtern die Erholungsfähigkeit im Schlaf und führen langfristig zu Stress. Feinstaub beeinträchtigt die Atemwegsentwicklung von Kindern und fördert Exacerbationen bei betroffenen Erwachsenen. Hitze führt zu mehr aggressivem Verhalten, dies wird v.a. in Notaufnahmen, Spitälern und Gesundheitszentren beobachtet. Der Eintrag von Chemikalien und Medikamenten in die Umwelt belastet die Artenvielfalt und unsere Gesundheit. PFAS, sogenannte Ewigkeitschemikalien, welche in der Natur nicht abgebaut werden und sich dadurch akkumulieren, werden mittlerweile auf der ganzen Welt in fast jedem Menschen nachgewiesen, ihre Gesundheitsauswirkungen sind noch grösstenteils unbekannt. Unachtsam weggeworfener Plastik zersetzt sich zu Mikroplastik und gelangt über die Nahrungskette in unseren Organismus, dort fördert er Entzündungen und erhöht das Risiko an verschiedenen Stoffwechselerkrankungen zu erkranken. 

 

Teil des Problems?

Das Gesundheitswesen der Schweiz ist nicht nur betroffen von den Veränderungen des Klimas, sondern verursacht diese auch mit: mit 4-6% Anteil an den Gesamtemissionen und über 1 Tonne CO2-Äquivalenten pro Person, ist das Schweizer Gesundheitswesen eines der emissionsreichsten Gesundheitssysteme weltweit. Die Schweiz hat pro Person ungefähr so hohe Emissionen wie die USA, Japan, Kanada und Australien. Auch global gesehen haben die Gesundheitssysteme einen grossen Anteil an den Treibhausgasemissionen, etwa 4,6% bis 5,2% der globalen Emissionen werden durch sie verursacht. Wären die Gesundheitssysteme ein Land, wäre es der fünftgrösste Verursacher von Treibhausgasen, direkt nach China, USA, Indien und Russland. Wir sind als Teil des Gesundheitssystems demnach sowohl Teil des Problems als auch Betroffene der Veränderungen.

Ich könnte noch mehr Probleme und Folgen des menschengemachten Klimawandels, des Biodiversitätsverlustes und der Umweltverschmutzung aufzählen oder Verantwortlichkeiten aufzeigen. Wahrscheinlich hast du das schon mehr als oft genug gehört. Stattdessen möchte ich dir zeigen, dass es Initiativen und Bewegungen gibt, die sich der Verantwortung gegenüber unserer Gesundheit, unserer Zukunft und unserer Lebensgrundlage annehmen.  In den vergangengen Jahren ist in verschiedenen Bereichen und Interessengruppen des Schweizer Gesundheitssystems Bewegung in Sachen Nachhaltigkeit gekommen: Health 4 Future als Teil einer internationalen Bewegung versucht die Stimme des Gesundheitswesen zu bündeln und für den Schutz unserer Lebenswelt einzusetzen. Der Dachverband der Schweizer Ärzteschaft FMH hat 2021 eine Strategie zu Planetary Health verabschiedet und engagiert sich in verschiedenen Projekten für ein nachhaltiges Gesundheitswesen. Der Ergotherapieverband Schweiz EVS hat ein Positionspapier zu nachhaltiger Ergotherpaie verfasst. Der Pflegeverband SBK-ASI hat die Nachhaltigkeit in die Verbandsstrategie 2030 aufgenommen. Verschiedene Organisationen und Institutionen haben sich im Konsortium für den ökologischen Wandel des Schweizer Gesundheitssystems ETHICH zusammengeschlossen und bündeln ihre Kräfte, um Veränderungen zu erreichen. Und zu guter letzt engagieren sich Physiotherapeut:innen aus aller Welt mit der Environmental Physiotherapy Agenda 2030 für eine nachhaltige Physiotherapie. Die Akteure des Gesundheitswesens haben ihre Verantwortung als Betroffene und Verursacher also durchaus erkannt und ergreifen erste Massnahmen, um sich dieser anzunehmen. 


Oder Teil der Lösung

Es ist an der Zeit Farbe zu bekennen: Wir wissen, die Physiotherapie ist kosteneffizient und wirksam. Sie verhindert unnötige medikamentöse und invasive Behandlungen, sie bringt Menschen in Bewegung und verbessert die Lebensqualität. In ihren Grundzügen ist die Physiotherapie schon immer eine nachhaltige Disziplin gewesen, wir haben uns mit der Natur und Physik zur Behandlung  von Krankheiten und Beschwerden verbündet, wir bringen Menschen in Bewegung und raus in die Natur, wir behandeln ohne teure Grossgeräte, komplizierte Interventionen oder belastende Medikamente. Wir suchen mit unseren Patient:innen nach Lösungen die in ihren Alltag passen und nicht umgekehrt. Wir haben die Prinzipien nachhaltigen Handelns zutiefst verinnerlicht, wir behandeln da wo es nötig ist, mit dem was wir haben und mit den Patient:innen im Fokus. Gemeinsam mit weiteren Organisationen des Gesundheitswesens können wir Veränderungen erzielen und das Schweizer Gesundheitswesen in eine nachhaltige und gesundheitsfördernde Zukunft bringen.

Ich glaube es ist an der Zeit, dass wir die nachhaltigen Prinzipien der Physiotherapie verstärkt im Schweizer Gesundheitswesen einbringen und teilen. Nur gemeinsam können wir Veränderungen bewirken und dort Veränderungen bewirken, wo sie notwendig sind: in langfristig und umfassend gesundheitsfördernden und nachhaltigen Behandlungen mit Zukunft, in eine starke Physiotherapie in der Schweizer Grundversorgung.